Skip to content

EU-WAHL: WACKELT DER GREEN DEAL?

Europa hat gewählt – und in der europäischen Energie- und Klimapolitik deutet sich schon jetzt eine Neuorientierung an. Was geschieht mit dem Green Deal? Kommt es zu einem „weiter so” oder gar zu einer „Rolle rückwärts”? Schon heute wird das Reformtempo rhetorisch ausgebremst: Europas Wirtschaftsverbände fordern inzwischen einen neuen Industriedeal, die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will „ideologische Normen” abändern oder ganz streichen und die Europarlamentarier des französischen Rassemblement National wollen das umfangreiche Vertragswerk ganz abschaffen oder einzelne Maßnahmen wie das bereits beschlossene Verkaufsverbot für Autos mit Verbrennermotoren ab 2035 kippen. Auf ihrem Gipfeltreffen am 27. Juni plädierten die Staats- und Regierungschefs der EU für einen vorsichtigeren „pragmatischen” Übergang zur Klimaneutralität.

Auch wenn die Erfinderin des Green Deal, die Christdemokratin Ursula von der Leyen, jetzt für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin nomminiert wurde und sich Mitte Juli im europäischen Parlament zur Wahl stellen wird, dürfte sich die praktische Umsetzung der vielen Green-Deal-Vorgaben in den kommnenden fünf Jahren wohl spürbar verlangsamen. Ein Grund für diesen politischen Stimmungsumschwung ist sicher der Krieg in der Ukraine. Als der Green Deal 2019 – also vor dem russischen Überfall auf das Nachbarland – beschlossen wurde, war der Klimawandel das wichtigste politische Thema in Europa. Heute sind es die militärische Verteidigungsfähigkeit, die Absicherung des eigenen Wohlstands und die Angst vor einer Ausweitung des Konflikts.

Der aus vielen europäischen Richtlinien und nationalen Gesetzen bestehende Green Deal will Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Zu den bereits umgesetzen Maßnahmen gehören die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energie, der Handel mit CO2-Zertifikaten, um Kohle und Gas künstlich zu verteuern, neue Energiesysteme in Gebäuden, die Möglichkeit, Energiegemeinschaften zu gründen, die Förderung der E-Mobilität, eine nachhaltige Landwirtschaft und der Schutz der Ökosysteme. Ein gigantisches Vorhaben: Eine  Billion Euro will die EU in ihren Mitgliedsstaaten bis 2030 in grüne Technologien investieren. Landet der Green Deal jetzt auf dem Müllhaufen der Geschichte? Übrigens ist der Müll oder die Menge der Abfälle, die wir täglich wegwerfen, eines der wichtigsten Probleme, die der Green Deal lösen will. Denn aus Europas Mülldeponien entweichen heute große Mengen des Treibhausgases Methan, das aus Biomüll entsteht, der unter der Erde verottet. Deshalb setzt der Green Deal auf die Mülltrennung und das Recycling von Wertstoffen. 60 Prozent des europäischen Hausmülls landen immer noch auf der Deponie. Bis 2030 will die EU diese Zahl halbieren und die Methan-Emissionen um 30 Prozent senken – auch durch den Umbau der Landwirtschaft mit dem Brachlegen von Böden, der Renaturierung von Moorlandschaften  und der Einschränkung chemischer Düngemittel.

Dennoch sind die Widerstände groß. Hat die EU-Bürokratie in diesem Bereich – bei allen guten Absichten – den Dialog mit den Menschen vergessen? Während die USA und China in der Klima- und Energiepolitik auf wirtschaftliche Anreize setzen, konzentriert sich die EU auf Verbote und komplexe Vorschriften. Und das kommt bei den Betroffenen gar nicht gut an: So protestieren Europas Bauern, Autofahrer und Hausbesitzer inzwischen gegen den aus Büssel verordneten Wandel – und stützen im neuen EU-Parlament damit jene Parteien, die den Green Deal am liebsten ganz entsorgen möchten.