Strom: Der Preisschock

Die Energiemärkte spielen verrückt. Im August ist der gesamtstaatliche Einheitspreis für elektrische Energie auf einen historischen Höchststand von 87 Cent pro Kilowattstunde (kWh) und einen Monats-Mittelwert von 54 Cent / kWh angestiegen. Das ist ein Preisschock. Der Mehrjahresvergleich zeigt, wie dramatisch die Lage jetzt ist und was auf Haushalte und Unternehmen in den kommenden Monaten zukommen wird. 2019 – und damit noch vor der COVID-19-Pandemie – betrug der Jahres-Mittelwert 5 Cent / kWh. Mit anderen Worten: In nur drei Jahren hat sich der italienische Strompreis, an den auch Ötzi Strom gebunden ist – verzehnfacht.

Auch die Preissteigerung in diesem Jahr ist von einem bislang unbekannten Ausmaß. Im Vergleich zum Januar 2022 hat sich der PUN im August mehr als verdoppelt. Ausgelöst wurde diese dramatische Entwicklung von den hohen Preisen für fossiles Gas durch den Ukraine-Krieg. Die Marktverwerfungen sind in diesem Bereich dann auch enorm. Inzwischen decken die Gasimporte aus Russland nur noch 18 Prozent des italienischen Bedarfs. Vor einem Jahr waren es noch 73 Prozent. Die Lieferketten verschieben sich derzeit von der „alten‘“ Ost-West-Achse auf die „neue“ Nord-Süd-Verbindung. Italien will russisches Gas vor allem über bestehende Pipeline-Verbindungen mit Importen aus Algerien und Flüssiggas-Einfuhren aus Übersee ersetzen.

Aber diese radikale Neuausrichtung braucht viel Zeit. Der Winter wird für alle Strom- und Gas-Kunden in Südtirol daher hart und teuer werden. Etwas Besseres können wir derzeit – leider – nicht prognostizieren. Schließlich hat Russland kein Interesse daran, die Gaspreise, die im Ukraine-Konflikt auch ein politisches Druckmittel sind, zu senken und fackelt diesen Rohstoff an der finnischen Grenze lieber ab, als die Lieferungen nach Westeuropa zu erhöhen. Eine Möglichkeit, sich aus dieser Zwangslage zu befreien, ist der potenzierte Ausbau erneuerbarer Energien. Nur wer kein fossiles Gas nutzt und so viel „grüne“ Energie wie möglich im eigenen Land erzeugt, kann von Gas-Exporteuren nicht erpresst werden. Eine Appeasement-Politik, die Zerschlagung der Ukraine und die Wiederaufnahme der Gasimporte aus Russland auf dem Vorkriegsniveau wären der falsche Weg.

Dazu ein Zitat von Winston Churchill aus dem Jahr 1940: “You can not reason with a tiger when your head is in his mouth”.

Energieautonomie: ein Weg aus der Krise?

In der italienischen Energielandschaft nimmt Südtirol eine Ausnahmestellung ein. In Südtirol gibt es 48 Stromverteiler, in ganz Italien 131. In Südtirol werden jährlich 6,8 TWh Strom produziert. 6,6 TWh liefern erneuerbaren Energiequellen und 88 Prozent des „grünen“ Stroms erzeugen mehr als 1.000 Wasserkraftwerke. Südtirol verbraucht pro Jahr aber nur 3,2 TWh Strom. Dennoch sind die Strompreise auch in Südtirol an die rasant steigenden Börsenpreise für fossiles Gas gekoppelt. Man kann sich damit abfinden – oder man kann versuchen, dieses Marktdesign zu verändern. Der Südtiroler Energieverband SEV setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, die bestehenden autonomiepolitischen Spielräume auszuschöpfen und eine Energieautonomie aufzubauen, um aktiv auf die Ausgestaltung des lokalen Strommarkts einzuwirken. Die Landespolitik hat gesagt, dass sei nicht möglich. Der SEV hat selbst bei renommierten Rechtswissenschaftlern nachgefragt und inzwischen bewiesen, dass Südtirol in der Energiepolitik sehr wohl mehr Autonomie wagen kann. Im Frühjahr hat der SEV gemeinsam mit der Handelskammer Bozen ein umfangreiches Rechtsgutachten erstellen lassen, dessen Ergebnis eindeutig ist: Das Land kann nicht nur eine Regulierungsbehörde im Bereich Energie aufbauen, sondern es muss das sogar tun, wenn es seine im Autonomiestatut festgeschriebenen Zuständigkeiten nutzen will. Derzeit übernimmt diese Kompetenzen der Staat. Eine Energieautonomie schließt demnach Handlungsspielräume in der Preis- und Vertragsgestaltung ein, wie die Bildung einer eigenen Strombörse oder einer lokalen Preiszone. Wieder sagt die Politik, das sei nicht möglich. Wartet man auf bessere Zeiten? Das ist in dieser Notlage keine Option. Wind, Wasser und Sonne, sind, so die Mission des SEV, Gemeineigentum und kein privater Besitz. Die Menschen sollten daher – direkt und nicht nur indirekt – an dem großen Ressourcenreichtum in unserem Land teilhaben. Vielleicht ist die Krise eine Gelegenheit, um diesem Grundsatz – endlich – zu folgen.