Wir können mehr Stromautonomie wagen

Das Land Südtirol kann eine autonome Regulierungsbehörde für den Energiesektor einrichten. Zudem gibt es Spielräume, die eine Reglementierung des lokalen Strommarkts mit Eingriffen in die Preisgestaltung erlauben würden. Das sind die wichtigsten Ergebnisse eines Gutachtens, das der Südtiroler Energieverband SEV und die Handelskammer Bozen bei den Rechtsexperten Prof. Peter Hilpold (Universität Innsbruck) und Prof. Paolo Piva (Universität Padua) in Auftrag gegeben haben. Die Expertise wurde im Landtag bei einer Anhörung zum Thema „Südtirols Stromversorgung“ vorgestellt.

Gegenstand des Gutachtens waren zwei Fragestellungen von großer Bedeutung. Erlauben die autonomierechtlichen
Zuständigkeiten des Landes im Energiesektor die Einrichtung einer eigenen Regulierungsbehörde? Und ist eine eigenständige Regelung des Strommarktes in Südtirol grundsätzlich möglich? Beide Fragen beantworteten die Juristen nach einer Prüfung der Gesetzgebung sowie der Rechtsprechung in Südtirol, in Italien und auf EU-Ebene mit einem eindeutigen „Ja“. So kann laut Artikel 57 der EU-Richtlinie 944/2019 „ein Mitgliedstaat Regulierungsbehörden für kleine Netze in einer geografisch
eigenständigen Region benennen, deren Verbrauch im Jahr 2008 weniger als drei Prozent des gesamten Verbrauchs des Mitgliedstaats, zu dem sie gehört, betragen hat“. Mitglieder der Landesregierung hatten immer das Gegenteil behauptet-

„Wir haben das schon in unseren Positionspapieren festgestellt und wurden jetzt bestätigt. Wir können mehr Autonomie wagen“, sagt SEV-Direktor Rudi Rienzner. In den vergangenen zehn Jahren hat der SEV mehrfach Alternativvorschläge zum derzeit gültigen Marktdesign in Südtirol vorgelegt: 2013 „Der zweite Weg“ mit dem Entwurf eines „Landes-Energie-Netzwerks“, 2015 eine Planungsvorlage für die Bildung einer Südtiroler Strombörse, 2016 „Sieben Sätze des Unbehagens“ als Kritik an der Energiepolitik des Landes und 2017 ein ausführliches Papier über die Machbarkeit einer Autonomen Regulierungsbehörde in Südtirol.

„Das Rechtsgutachten der beiden Universitätsprofessoren spricht eine klare Sprache: Die Schaffung einer autonomen Regulierungsbehörde im Energiesektor in der Autonomen Provinz Bozen ist rechtlich möglich. Südtirol darf sich diese Möglichkeit nicht entgehen lassen“, ist Michl Ebner, Präsident der Handelskammer Bozen, überzeugt.

Bei der Regulierung des Energiesektors übernimmt der Staat derzeit Zuständigkeiten, die eigentlich dem Land zustehen würden. Daher – so die Position der Juristen – müsse das Land eine eigene Regulierungsbehörde aufbauen. Diese autonome Marktregelung schließe zudem wichtige Handlungsspielräume in der Preis- und Vertragsgestaltung und bei der Festlegung der Netzgebühren mit ein. Zudem könnte das Land die Bildung von „Energiegemeinschaften“ aktiv unterstützen.

Der in Südtirol erzeugte Energiemix unterscheidet sich aufgrund des hohen Anteils der Wasserkraft wesentlich vom italienischen Angebot. „Wir produzieren ohne den Einsatz von teurem fossilen Importgas und könnten unseren Strom daher deutlich billiger anbieten“, erklärt SEV-Präsident Hanspeter Fuchs. Und: Es sei jetzt die Aufgabe des Landes, „die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.